Alexander Renner

ewige sommerzeit
Ewige Sommerzeit? Bitte nein!

Am Wochenende ist Zeitumstellung. Ich verrate es gleich: die Uhren werden um eine Stunde zurückgestellt. Bei dem Votum der EU-Bürger in diesem Jahr haben 84% von 4,6 Mio. Teilnehmern für die Abschaffung der Zeitumstellung gestimmt. Das Raten, ob wir nun die Uhr um eine Stunde vor oder zurückstellen, hat also bald ein Ende.

Gleichzeitig wollte man in diesem Sommer von den Bürgern wissen, welche Zeit sie denn gerne hätten. Es verwundert nicht, daß bei herrlichem Wetter über 50% der Abstimmenden für die ewige Sommerzeit gestimmt hatten. Leider erhält man mit der Sommerzeit nicht gleich den garantierten Sommer dazu. 

Story: Hr. Samuth ohne Sommerzeit

Ein ehemaliger Kollege von mir in der Arbeit, nennen wir ihn Ludwig Samuth, hatte die Sommerzeit einfach boykottiert. Die Zeit, nach der er lebte war die echte Mitteleuropäische Zeit (MEZ). Nach ihr hatte er seine Uhr gestellt, kam zur Arbeit und ging wieder nach Hause.

Wenn im Frühling die Umstellung auf die Sommerzeit war, kümmerte das Samuth nicht weiter. Wir hatten ein Gleitzeitmodell. Er kam dann zur Sommerzeit einfach eine Stunde später. Um 07:00 Uhr erschien er immer. Das war im Sommer bei uns dann um 08.00. Herr Samuth stellte seine Uhr ebenfalls nicht um. Sie ging halt im Sommer um eine Stunde nach. Das rechnete er im Kopf um. Zu Meetings erschien er trotzdem pünktlich.

Seine Bettgeh- und Aufstehzeiten behielt er stets bei oder passte sie an die Sonnenzeiten an. Im Sommer genoß er abends etwas später sein Bierchen. Im Winter ging Herr Samuth mit seiner Frau früher ins Bett. 

Ich habe ihn damals als Eigenbrötler etwas belächelt und gleichzeitig bewundert. Leute, die anders waren, haben mich immer schon fasziniert. Heute sehe ich seinen Tag-Nacht-Rhythmus als sehr schlau und dauerhaft für sein persönliches Leben wesentlich förderlicher, als der vom Rest der Gesellschaft. Chapeau Mr. Kollege.

Gegen die ewige Sommerzeit

Was spricht denn gegen die ewige Sommerzeit? Auch im Winter zu Sommerszeiten wandeln? Das klingt ein wenig wie: Ich hole mir im feuchten düsteren Winter ein wenig Sommer in den Alltag. Ausser Wort-Psychologie und Euphemismus steckt da nichts dahinter.

Morgens dauermüde

ewige sommerzeit
Morgens erst mal in der Arbeit wach werden

Nehmen wir an, du stehst morgens um 06:00 Uhr auf, gehst um 07:00 zur außer Haus und fängst gegen 08:00 Uhr mit der Arbeit an – zur „Normalzeit“. Bei der Sommerzeit wird die Uhr um eine Stunde vorgestellt. Du stehst also um 06:00 Uhr auf, es wäre aber erst 05:00. Du gehst um 07:00 Uhr außer Haus, es wäre aber erst 06:00 Uhr usw. 

An die Uhrzeit kannst du dich gewöhnen. 24h bleiben 24h. Kein Problem. Nur dein Bio-System wird sich nicht daran gewöhnen. Sehen wir uns das mal näher an:

Tag-Nacht-Rhythmus Hormone

Den Tag-Nacht-Rhythmus habe ich dir in meinem Artikel über besser Schlafen bereits nahe gebracht. Hier die Kurzversion: Wenn die Sonne untergeht und es draussen dunkel wird, produziert unser Körper das Schlaf-Hormon Melatonin. Du wirst müde. Ab dem Ende der Nacht fängt der Körper dann an, das „Wach“-Hormon Cortisol zu produzieren und die Melatonin-Produktion wieder zu senken. Bei Sonnenaufgang wird dein Schlaf seichter. Du fängst an, wieder wach zu werden. So wäre es, wenn du nach der Natur lebtest.

Im urbanen digitalen Leben bestimmen Uhr und Kunstlicht unseren Rhythmus. Das reicht aber nicht völlig aus, um den Melatonin-Cortisol-Wechsel in einen künstlichen Rhythmus zu versetzen. Die Lichtverhältnisse draussen spielen nach wie vor die dominante Rolle, wenn du um 07:00 Uhr raus gehst. 

Verlässt du also morgens um 07:00 Uhr das Hau, und es ist noch dunkel, dann ist dein Melatonin-Spiegel noch auf „müde“ eingestellt. Das zieht sich vom Winter tief in den Frühling hinein und beginnt im Herbst bereits wieder.

Schauen wir uns den Abend an: Wenn es abends länger hell ist, produzierst du auch erst später dein Schlaf-Hormon Melatonin.  Du wirst nicht rechtzeitig müde, musst aber trotzdem früher aus dem Bett. 

Weniger Energie, Leistung, Erfolg

Mit der Zeit droht ein dauerhafter Schlafmangel. Eine Art „sozialer Jetlag“. Wir werden zu einer chronisch unausgeschlafenen, übermüdeten Gesellschaft. Die Folge von längeren Müdigkeitsphasen morgens wären auf Dauer verheerend. Die Kinder kommen müde zur Schule, haben dort weniger Konzentration, die Leistungen fallen ab. Wenn du in der Arbeit bist, sinkt auf über längere Zeit hinweg deine Leistungsfähigkeit. Dein Energielevel ist niedriger. Du bist aber trotzdem der Erwartungshaltung in deinem Job ausgesetzt und willst auch powern. Aber es geht schlicht nicht.

Du spürst sehr bald eine dauerhafte unangenehme Stress-Belastung von innen heraus (du willst, kannst aber nicht) und von aussen (man fordert von dir, du kannst aber nicht). Da du damit aber nicht alleine bist, wird es Folgen für die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft haben.

Lebe in deiner Zeitzone

Ich bin ganz klar für eine dauerhafte Zeit ohne Sommerzeit-Umstellungen und vor allem: Für unsere Original-Zeit. Das ist die Mitteleuropäische Zeit (MEZ). Schlafstörungen, Energie- und Leistungsschwankungen haben wir bereis genug. Man muß sich das nicht komplett ins Haus holen.

Übrigens: Die Spanier leben seit General Francos Zeit in der falschen Zeitzone, nämlich unserer. Franco hat, um Nazi-Deutschland nachzueifern, in Spanien 1942 die mitteleuropäische Zeit eingeführt, obwohl das Land eigentlich die westeuropäische Zeit hätte (WEZ). Auch dort plädieren Experten seit Jahren für eine Rückkehr zur Original-Zeit, u.a. wegen der gesteigerten Leistungsfähigkeit der Bevölkerung.

Ludwig Samuth ist inzwischen pensioniert. Er geniesst seinen Lebensabend, geht mit dem Hund raus, trinkt seine Bierchen und lebt in seiner Zeit. Die Zeitumstellung, ob saisonal oder endgültig, interessiert ihn weiterhin nicht. Er hat seine Zeit gefunden. 

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